Podcast: Digitale Transformation im Maschinenbau
Unser CTO Sebastian Betzin im Gespräch mit LEWA Programm Manager Moritz Pastow und Geschäftsführer VDMA Software und Digitalisierung Claus Oetter.
Interview: Peter Trechow
Worin liegt der Mehrwert digitalisierter Pumpen?
Moritz Pastow: Unsere Pumpen bewegen oft gefährliche, empfindliche und teils auch teure Stoffe durch die Anlagen unserer Kundschaft, die daher großen Wert auf Prozesssicherheit legt. Als zentrale Antriebsaggregate liefern digitalisierte, sensorisch überwachte Pumpen nicht nur Daten über den eigenen Zustand, sondern auch wichtige Prozesskennwerte aus dem Innern der Anlagen. Damit lässt sich der Anlagenbetrieb in Echtzeit überwachen und es ist möglich, anhand der gesammelten Daten Trends zu erkennen und prädiktive Aussagen – beispielsweise über den Ventilverschleiß – zu treffen. Das nötige Diagnostik-Know-how hatten wir bei Lewa schon vor dem Projekt. Was uns aber fehlte, war das Know-how, um ein digital vernetztes und Industrie-4.0- kompatibles Produkt daraus abzuleiten. Darum haben wir uns an die generic.de gewandt.
Wie und wann kam die Zusammenarbeit zustande?
Pastow: Als VDMA-Mitglied haben wir beim Fachverband Software und Digitalisierung angefragt, ob sie uns IT-Dienstleister empfehlen können. Wir bekamen eine Liste möglicher Partnerunternehmen, aus der wir in einem Casting-Prozess die generic.de ausgewählt haben.
René Paschold: Ab 2019 kam es zu ersten Prototypen-Projekten. Lewa hatte zu dem Zeitpunkt erste Tests mit Hard- und Softwareprototypen durchgeführt. Wir haben sie dann dabei unterstützt, daraus sowohl von den Kosten als auch von der Baugröße, Zuverlässigkeit und Konnektivität her marktfähige Lösungen zu entwickeln.
„Die agile Entwicklung setzt einen Reflexionsprozess über das Produkt in Gange.“ (Moritz Pastow)
Es ging also um den Übergang von der Planung der digitalen Produktstrategie zu deren Umsetzung?
Paschold: Ja, es ging um die Definition der geeigneten Hardware, SPS-Lösung und Industrie-PCs sowie um die Entwicklung einer tragfähigen Softwarearchitektur. Dank unserer Erfahrung konnten wir Lewa hierbei zur Seite stehen.
Pastow: Erst mit der Expertise von generic.de haben wir zum jetzigen Hardware-Setup gefunden. Und auch für die Softwarearchitektur haben sie entscheidende Impulse geliefert. In der Zusammenarbeit setzen wir auf die für uns anfangs ungewohnte agile Entwicklung – was in mehrerer Hinsicht zu einer steilen Lernkurve führte. Unser erster Prototyp hatte bei Weitem nicht so viele Diagnostikfunktionen wie das finale Produkt. Der agile Prozess ist in jeweils zweiwöchige Sprints unterteilt, für die wir vorab klare Arbeitsziele vereinbaren. Das setzt einen Reflexionsprozess über das Produkt in Gange, in dem wir immer mehr über unsere Produkte sowie über die Ziele und Möglichkeiten ihrer digitalen Vernetzung gelernt haben. Hierbei kamen Funktionserweiterungen zustande, die uns ursprünglich nicht in den Sinn gekommen wären.
Lewa baut seit 1952 Maschinenbau-Know-how auf. Wie ist so ein Erfahrungsschatz ins Digitale übersetzbar?
Paschold: Lewa hatte Ziele der Digitalisierung definiert und Teams verschiedener Fach- und Führungsebenen in Schulungen auf das agile Arbeiten vorbereitet, als wir ins Projekt einstiegen. Sie kennen ihre Pumpen und den Diagnosebedarf ihrer Kundschaft sowie die dafür relevanten Kennwerte im Detail. Hierauf konnten wir beim Requirement-Engineering und beim Vereinbaren der Sprintziele aufsetzen. Entscheidend ist es, jederzeit die Mehrwerte digitalisierter Pumpen für die Lewa-Kundschaft im Blick zu behalten. Daraus ergibt sich, welche Kennwerte für das finale Produkt relevant sind und welche Anforderungen an Speicher, Prozessoren, Cloud-Anbindungen oder an die ITSecurity die Lösungen erfüllen müssen.
Was spricht dafür, agile Methoden der Softwarewelt im Maschinenbau zu übernehmen?
Pastow: Das ist ein spannendes Thema. Wir mussten lernen, agil zu arbeiten. Maschinenbauer sind es gewohnt, Lastenhefte umzusetzen. Schrittweise arbeiten sie bis zum Produktionsstart vorab definierte Anforderungen ab. In der agilen Entwicklung blicke ich anfangs in eine inhaltliche Blackbox und weiß nur vage, was meine Ziele sind. Wir mussten uns dazu erziehen, unsere Anforderungen so zu formulieren, dass sie nicht direkt den Weg vorgeben. Dafür war die Hilfe von generic.de wichtig. Es gilt, Sprintziele oder User-Storys so zu formulieren und zu strukturieren, dass sie sinnvoll aufeinander aufbauen. Und wir mussten die Kolleginnen und Kollegen in anderen Abteilungen sowie die Führungsebene und unsere Kundschaft vom agilen Prozess überzeugen. Sie sind es nicht gewohnt, dass eine fertige Pumpe noch Updates mit neuen Funktionen bekommt. Das setzt ein neues Mindset voraus. Aber agiles Arbeiten ist absolut für den Maschinenbau geeignet. Wir haben über das Projekt ein interdisziplinäres Team „Digitale Services“ geschaffen und damit eine agile Transformation auf den Weg gebracht. Bei Neupumpenprojekten sind wir nun von Beginn an dabei, um unser Know-how rund um die digitale Hard- und Software sowie das agile Arbeiten einzubringen.
Was waren rückblickend betrachtet die schwierigsten Hürden – und wie haben Sie diese überwunden?
Paschold: Wenn ich mich recht erinnere, haben wir unsere Sprintziele in den ersten Anläufen verfehlt und erst ab dem vierten Sprint einen soliden, zielführenden Arbeitsmodus erreicht. Wir mussten zueinander finden, ein Gefühl für den Umfang der Arbeitspakete entwickeln und lernen, dass es zuweilen lohnt, neu anzusetzen. Sackgassen und Richtungswechsel sind Teil der agilen Welt – sie tragen zur Klarheit über das Endprodukt bei. Bei Lewa musste auch das Verständnis reifen, in den Arbeitspaketen nicht mehr für das Wie, sondern nur noch für das Was verantwortlich zu sein. Denn die konkrete softwaretechnische Umsetzung war ja unsere Aufgabe.
Pastow: Es hat sich als goldrichtig erwiesen, dass auch unser Management die agilen Schulungen durchlaufen hat und die neue Methodik verstand. Denn es braucht eine neue Fehlerkultur und die Einsicht, dass mit jeder Kurskorrektur ein Learning verbunden ist, das uns voranbringt. Natürlich mussten wir trotz alledem unsere Budgets rechtfertigen, Ziele formulieren und Ergebnisse vorweisen.
„Sackgassen und Richtungswechsel tragen zur Klarheit über das Endprodukt bei.“ (René Paschold)
Stichwort Budget: Wie nimmt der Markt ihre digitalen Pumpen samt den Mehrwertdiensten im Service an?
Pastow: Es ist durchaus Überzeugungsarbeit nötig. An Anlagen, die häufig im 24/7-Betrieb laufen, nehmen die Betreiber ungern Veränderungen vor. Auch fehlt es im Markt teilweise an strategischer Klarheit, was die Ziele der Digitalisierung betrifft. Daher ist der Beratungsbedarf höher als gedacht. Aber die Botschaft, dass unsere digitalen Pumpen die nötigen Kenndaten für den Smart-Factory-Betrieb liefern, kommt mittlerweile an. Dennoch bleibt die Herausforderung, dass es mit digitalen Pumpen nicht getan ist. Sie müssen in digitale Netzwerke und IT-Security-Maßnahmen eingebunden und sinnvoll an Leitstände angebunden werden. Und es braucht Klarheit, wer wann auf welche Prozessdaten zugreifen darf. Das braucht seine Zeit.
Abschließende Frage: Was raten Sie Maschinenbauern, die digitalisieren wollen, sich aber nicht recht an die ungewohnte Materie herantrauen?
Paschold: Lewa hat es gut vorgemacht. Sie haben überlegt, wie Digitalisierung ihre Produkte verbessern kann, mit Prototypen experimentiert und sich Hilfe gesucht, als ihr IT-Know-how an Grenzen stieß. Sinnvoll ist es, mit einem klar eingegrenzten Projekt zu beginnen, in dem Maschinenbauer und IT-Dienstleister die Möglichkeiten testen, einander kennenlernen und ihre Zusammenarbeit nach und nach vertiefen können. Agilität kann dabei helfen. Sie ist aber kein Allheilmittel.
Pastow: Es ist wichtig, sich vorher über die eigenen Erwartungen klar zu werden, diese im Projekt offen und klar zu kommunizieren – und sich darauf einlassen, dass der Weg zum Ziel nicht immer schnurgerade ist. Ein gutes digitales Produkt reift im Laufe seiner Entwicklung.
Erschienen in: VDMA Magazin #01/02 Februar 2022
Interview: Peter Trechow / www.textschmiede.com
Fotos: Horst Rudel & Ines Rudel GbR / vor-ort-foto.de
Weitere Informationen:
Vanessa Koller, VDMA: vanessa.koller@vdma.org
Alexander Weber, generic.de: alexander.weber@generic.de
Unser CTO Sebastian Betzin im Gespräch mit LEWA Programm Manager Moritz Pastow und Geschäftsführer VDMA Software und Digitalisierung Claus Oetter.
Warum, wie und unter welchen Rahmenbedingungen agile Softwareentwicklung Mehrwert stiftet